Nachlese zum Gespräch mit Dietmar Steiner am 19.12.2003 im transpublic.
Von Peter Arlt

Steiner: Vor 20 jahren hat die debatte öffentlicher raum begonnen - davor war das kein thema. Ich bin immer wieder draufgekommen, wenn es um die fragen des öffentlichen raums bis hin zur stadtmöblierung ging, um fragen wie ordnung oder freigabe, um gestaltung oder nichtgestaltung, dass sich kaum jemand mit der geschichte des öffentlichen raums beschäftigt.

Es kursiert ein mythos der da heisst, der öffentliche raum sei ein freier urbaner raum, wo alle menschlichen individuen sich frei und nach ihren bedürfnissen bewegen. Und das ist ein effektiver mythos, der vielleicht aus den merkpunkten der geschichte des öffentlichen raums kommt, barrikadenkämpfe, Pariser commune bis hin zu 1968 - die eroberung des öffentlichen raums.
Faktum ist, dass wir bis zur moderne einen sehr streng reglementierten öffentlichen raum hatten. Im mittelalter gab es z.b. noch ganz starke kleiderordnungen, also was darf man anziehen im öffentlichen raum, wer darf im öffentlichen raum sein. also eine sehr stark segmentierte gesellschaft mit effektiven zugangsbeschränkungen wer sich im strassenbild überhaupt zeigen darf.

Man ist ein bißchen durch kinofilme getäuscht, wenn man mittelalterfilme sieht, wo das pralle leben auf der strasse stattfindet - das stimmt also nur beschränkt. Das ging weiter in der renaissance und auch im barock. Ein aktuelles argument ist ja das schimpfen äber den veranstalteten-inszenierten öffentlichen raum. Diese form der eventkultur im städtischen raum hat heute noch lange nicht den umfang erreicht wie im barock. Allein in wien hat es in der barockzeit in einem jahr über 400 prozessionen gegeben, also mehr als eine am tag. Der öffentliche raum war sozusagen in den händen der katholischen kirche, die ihn als ihren repräsentationsraum gesehen hat. Wenn man sich die canaletto-bilder über wien ansieht findet man kaum ein bild, wo nicht irgendeine prozession durchgeht.
Im 19. Jahrhundert gab es die glacis-räume, also dort wo die stadtbefestigungen geschleift wurden, um die vororte mit der innenstadt zu verbinden, und diese räume waren rechtsfreie räume, dort haben sich das dienstpersonal, die soldaten usw. getroffen - und das kam dem heutigen mythos des öffentlichen raums nahe. Es war aber damals auch eine heftige debatte in der bevölkerung für die aufhebung dieses zustandes und es kam dann ja auch meist zur bebauung der glacis.

Arlt: Es gibt ja die these vom verlust des öffentlichen raums durch privatisierung, verstärkte überwachung, ausschluß von obdachlosen aus innerstädtischen räumen usw.. die these impliziert, dass das früher nicht der fall war. Wie sieht denn das historisch betrachtet aus, bzw. muß man vermutlich zuerst die frage stellen: ab wann kann man den von einem öffentlichen raum sprechen? manche fangen mit den griechen und der agora an. wie sehen sie das?

Steiner: In europa mit den stadtgründungen im mittelalter, die sich zum teil bis heute auch in ihrer form erhalten haben, da wissen wir von welcher typologie wir reden. ...
Ich glaube, dass die motorisierung der entscheidende faktor war, weniger die industrialisierung, weil in der frühzeit des kapitalismus war das auch noch eine stark segmentierte gesellschaft. Die demokratisierung des raums zu einem öffentlichen raum - das ist jetzt eine these, die ich aufstelle - hängt mit dem privaten transport und verkehr zusammen. Die villenviertel im westend, die es in jeder europäischen stadt gibt, sind ja erst mit den strassenbahnen entstanden. Die hat es vorher nicht gegeben, weil da wäre man ja nur mit der privaten kutsche hingekommen. Die durchmischung der stadt hängt mit der individuellen mobilität zusammen. Geschützt durch den privaten "autoraum" wurde man anonymisiert - man hat sozusagen die person nicht mehr gesehen.

Arlt: Wenn man über stadt und öffentlichen raum spricht, meint man automatisch die innenstadt und nicht die vorstadt oder den stadtrand. Die innenstadt sollte der ort sein - wobei man da schon wieder einen mythos pflegt - wo sich alle schichten treffen ohne dass es für irgendjemand unangenehm ist - zwanglos, frei, anonym.

Steiner: Man könnte die vorstadt dahingehend definieren, dass sie viel abgeschlossenere einheiten hat - die arbeitervorstadt, das villenviertel. Vorstadt ist nicht die soziale oder funktionale durchmischung, wie in dem was wir als stadt sehen. wien ist wahrscheinlich die durchmischteste stadt überhaupt. Ich kenne keine stadt, die sowenig gentrifikation und segregation hat. Tatsache ist, dass die wohnbauförderung, die von den wirklich bedürftigen bis zum gehobenen mittelstand hineinreicht, einen wohnungsbau schafft, der für eine breite schicht da ist, wo die putzfrau mit dem universitätsprofessor im selben haus wohnt. Genau das ist das instrument, um soziale segregation zu verhindern. An den niederlanden oder in deutschland sieht man die auswirkungen, wenn die wohnbauförderung radikal gekürzt wird - wie es dann so schön heißt: "nur für die, die es wirklich brauchen." Das führt dazu, dass zb. in münchen traumhafte architektonische wohnanlagen stehen, als sozialer wohnbau, aber drinnen wohnen können nur leute, die keiner geregelten beschäftigung nachgehen. In diesen wohnanlagen arbeiten 4-5 sozialarbeiter, damit nicht der offene krieg ausbricht. Alles was ich bei der wohnbauförderung einspare, dieses geld kann ich 1:1 dem innenminister für die polizei übergeben.
Also wohnbauförderung ist eines der wichtigsten instrumente gegen soziale segregation und um durchmischung in der stadt zu gewährleisten. Es sind oft so instrumente im hintergrund, die man nicht sieht, die aber in wahrheit städtisches leben erzeugen.

Genauso die beislszene. die wiener beislszene ist nicht entstanden, weil auf einmal leute da waren, die gesagt haben: des hätt mir jetzt gerne, sondern es wurde die mariatheresianische gewerbeordnung aufgehoben, die bis in die 60iger noch den paragrafen drinnenhatte, dass wenn ein wirtshaus in einer gasse war, konnte es ein zweites am aufsperren hindern, weil es eine bedarfsprüfung gab - sowie bei apotheken oder rauchfangkehrern. Durch die aufhebung eines gesetzes hat sich die beislszene entwickelt. Es sind oft wirklich die immateriellen steuerungen, die städtisches leben erzeugen.

Arlt: Max weber definiert stadt ja auch über den markt

Steiner: Stadt und öffentlichkeit hat eine kommerzielle basis. Und in den 60iger jahren ist die amerikanische stadt auf europa übergeschwappt. Begonnen hat es mit der stadtrandshoppingmall. ... Seit den 70iger jahren kommt eine reanimierte innenstadt daher, die aber bereits damals eine veranstaltete ist. Die rettung der innenstadt wurde zum programm.

Arlt: Heute wandern ja die shoppingmalls wieder in die städte rein - sind das öffentliche räume?

Steiner: Rechtlich nicht. Also es gibt eine verprivatisierung der öffentlichkeit zugänglich gemachter flächen. Wobei es da jede menge graubereiche gibt - es gibt kaum einen innenstadtbereich in europa, der so eine interessenorganisation der kaufmannschaft hat, die für weihnachtsbeleuchtung und säuberungen sorgt, die sich also darum sorgt, das richtige publikum zu bekommen. Es waren ja auch die kaufleute, die zunächst gegen fußgängerzonen waren und die privaten wachschutz einführten. Das problem der privatisierung ist, dass sie so schleichend passiert, dass wir sie gar nicht bemerken. Da gibt es für mich als bürger, der noch an eine zivile gesellschaft glaubt, nur eine strategie und zwar das zur verhandlungssache zu machen, d.h. bedingungen zu formulieren. Wir sind zur zeit in einer situation, wo der öffentliche raum eine ständige verhandlungssache zu sein hat.

Arlt: Meiner beobachtung nach bekommen die shoppingmalls immer mehr stadtcharakter. Aufgefallen ist mir dabei z.b., dass man früher nirgends sitzen oder verweilen konnte und heute wird das zunehmend ermöglicht. Umgekehrt kopiert der öffentliche raum die shoppingmalls bis hin zur überdachung.

Steiner: Interessant ist die verstädterung von shopping-malls. Mit dem größer werden der shoppingmalls hat man aufenthaltsqualität gebraucht. In den 80iger jahren kommt die mega-mall, die erste in edmonton. Die mall ist nicht mehr nur einkaufszentrum, sondern gesamt-freizeiterlebniswelt. Also in edmonton ist drinnen: künstliche strände mit meerwasser, nachgebaute historische strassenfassaden, dazwischen kanäle mit mini-ubooten ... Es hat sich herausgestellt, dass familien oder die kids oft einen ganzen tag drinnen sind und da wird aufenthaltsqualität wichtig.
Bei uns hat sich in den 80iger jahren der funktionswandel in den innenstädten vollzogen, wo sich die handelsstrukturen verändert haben: die alten handelsfamilien, kaufleute sind ausgestorben und die ketten sind gekommen. Was jetzt kommt ist der geschlossene neubau, das riesending, dass sich wie ein ufo mitten in die stadt hineinsetzt und das bestehende kleinteilige in sich zusammensaugt. Die innenstadt wird nun nocheinmal aufgesaugt in diese neuen räume.

Arlt: Es entstehen inseln in der stadt - aber was ist dazwischen? Steiner: Eben, ich finde das eine dramatische entwicklung, weil das zur endgültigen entleerung einer feinnervigen stadtstruktur führt. Die idee der innerstädtischen shoppingmall ist fast gefährlicher als gegenüber der stadtrandshoppingmall.

(...)

Publikum: es hat geheissen, der gebrauch des öffentlichen raums ist auszuhandeln. Wer handelt das aus, wer organisiert sich, ausser die standesvertreter wie geschäftsleute ?

Steiner: Da ist die zivilgesellschaft gefragt. Jetzt kann man natürlich sagen: es gibt sie nicht. Es gibt sie in initiativen verschiedenster art - nicht immer berechtigt. ... wenn aufeinmal überall parkbänke auftauchen, die dazwischen überall armlehnen haben, damit sich niemand mehr hinlegen kann - das sind die subtilen mechanismen, die pausenlos stattfinden und ausschließungsmechanismen schaffen. Das sind politische forderungen die zu stellen sind, bis hin zum privaten einschreiten gegen einen privaten sicherheitsdienst. Das museumsquartier ist ein privates grundstück, das der museumsquartiergesellschaft gehört. Dass die museumsquartiergesellschaft zu 75% in bundesbesitz und zu 25% der stadt wien gehört spielt keine rolle, weil hier die öffentliche hand sich selbst privatisiert hat. Das führt dazu, dass dort auch ein privater sicherheitsdienst agiert. Es hat den fall gegeben, dass ein augustinverkäufer, das ist die obdachlosenzeitung, vom sicherheitsdienst hinausgeworfen worden wäre, wenn nicht die gäste vom schanigarten und die pächterin aufgestanden wären und den sicherheitsdienst verjagt hätten.

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