Nachlese zum Gespräch mit Jan Tabor am 30.6.2003 im transpublic.
Von Peter Arlt

Tabor: Der öffentliche raum, wie man ihn heute versteht, ist das gestaltete - das ist eine vorstellung - wie landschaft. In den 60iger jahren war der öffentliche platz zb. ein parkplatz. Und dann ist dieser kampf um befreiung des raumes vom auto gekommen - in zusammenarbeit mit den architekten.

Arlt: Also ein qualitätsmerkmal des öffentlichen raums wäre, ihrer meinung nach, die ganz alltägliche nutzung, ohne das irgendjemand groß überlegt, ob man hier autos will oder nicht - quasi von selbst generiert.

Tabor: Genau, das wäre in meinen augen der idealfall, dass der öffentliche raum so entwickelt und benutzt wird. Das dort eine öffentlichkeit entsteht die nicht reglementiert ist.

Arlt: Aber wenn wir jetzt beim verkehr bleiben, dann ist das wohl der am stärksten reglementierte bereich überhaupt.

Tabor: Das auto ist zwar zurückgedrängt worden, ist aber immer noch ein befreiendes element. Also wenn ich als radfahrer aus einer fußgängerzone in eine normale strasse komme, bin ich befreit: man versteht sich mit den taxifahrern, mit den porschefahrern.

Arlt: Ich verstehe die kritik an der fußgängerzone insofern, als sie die nutzungsmöglichkeiten aufs gehen einschränkt.

Tabor: Element der überraschung

Arlt: Und das element der überraschung ist für sie auf einer viel befahrenen strasse größer, als in einer fußgängerzone?

Tabor: Ja sicher. radfahren ist eine form des gehens, ganz im sinne von walter benjamin.

Arlt: Sie können, wenn sie in wien radfahren tatsächlich in der gegend herumschauen ?

Tabor: Beim radfahren können sie hören, riechen

Arlt: Ja, aber da gibt's doch keine Überraschungen, da verhalten sich alle extrem genormt, man versteht sich mit jedem, weiß wie jeder agiert

Tabor: Da funktioniert die kommunikation

Arlt: Ja, aber das überraschende ist ja das gegenteil, da wird das alltägliche-funktionierende unterbrochen. Die fußgängerzone bietet noch immer mehr freiheiten sich "alternativ" zu verhalten als der strassenverkehr.

Tabor: Wir haben es mit zwei verschiedenen öffentlichen räumen zu tun: auf der normalen strasse wird das interieur quasi mitgeschleppt und dann ist es wieder weg. Und dann ist es in der schlichtheit einer normalen strasse. Die fußgängerzone - und das ist bei walter benjamin nachzulesen - die passage, ist die verlängerung des bürgerlichen, sagen wir spießbürgerlichen interieurs in den sogenannten öffentlichen raum. Und was ich kritisiere ist die vollstopfung durch die sogenannte möblierung. Und das auto möbliert die strasse nicht in diesem sinne - man ist da nicht so determiniert zu irgendeiner verhaltensweise.

Tabor: Die wiener benehmen sich in der kärntnerstrasse wie die touristen. Wenn sie dann in der rothenturmstrasse und noch weiter, am schönsten platz von wien, dem schwedenplatz sind, dann sind sie wieder völlig normal. Das ist angenehm, wenn man aus dieser geschlossenen anstalt wie die fußgängerzone in diese situation kommt, die man im mittelalter vielleicht als freyung oder freiheit bezeichnet hat. Dort ist eine normalität.

Arlt: Sie sind bekannt als feind der gestaltung öffentlicher räume.

Tabor: Ich plädiere dafür, die sachen in einem rohzustand zu lassen und dass sich das irgendwie selbst entwickelt. Diese platzgestalter sind eine pest, das ist antiurban. Es endet in einem oberflächenkitsch, laternenkitsch.

Arlt: Gibt es denn überhaupt einen nichtgestalteten raum ?

Tabor: Der schwedenplatz ist entstanden

Arlt: Naja. Es fängt ja bereits mit der verkehrsplanung an, also wo wird gefahren, wo gegangen, in welcher breite usw.. und da sagen sie, dass sollen die beamten am magistrat machen, die machen es schon richtig, das sind technokraten..

Tabor: Genau - und dann entsteht so etwas wie der schwedenplatz.

Arlt: Sie brechen hier also eine lanze für eine beamtenplanung, - rein auf funktion und technik.

Tabor: Das ist sicher besser als eine planung von ehrgeizigen architekten. .... es geht alles, was temporär ist. ich stelle mir vor, die plätze sind neutral und da kommt irgendwas und das verschwindet dann immer und dann kommt etwas anderes. Dann können so sachen passieren, die total schön sind, wenn zb. neben dem burgtheater so ein zelt aufgestellt wird und die "literatur im märz" stattfindet. Die stadt soll solche dinge ermöglichen. Aber wenn es gestaltet wird, ist es mit solchen sachen vorbei. ...

Arlt: Überschätzen Sie nicht auch die macht der gestaltung - nach dem motto: wenn ein platz gestaltet ist, haben die leute keine chance mehr? Gibt es das nicht, dass sich die leute einfach darüber hinwegsetzen? vielleicht ist es gar nicht so wichtig, ob er schön oder häßlich oder gar nicht gestaltet ist und die leute mit ihren alltäglichen praktiken sich eigene wege suchen.

Tabor: Eben nicht. durch gestaltung passiert nichts. der ausdruck der gestaltung, dass ist spießbürgerlich, dass ist 19. jhdt., das ist horror vacui. Nichts darf ungestaltet bleiben....
...mein sohn hat den platz beim regierungsgebäude von cerny, bei der urania entdeckt und da sind sie geskatet - das ist total gestaltet mit so hanak-plastiken... das ist eine weile gegangen und dann ist die polizei gekommen und hat das verboten. Und so versuchen die buben immer irgendetwas zu finden

Publikum: aber die suchen sich doch etwas im gestalteten bereich, dass sie gestaltung anders nutzen. Wenn ein platz völlig ungestaltet ist, dann ist er zum skateboardfahren auch nicht so spannend. Da geht es um das nicht-verbieten.

Tabor: Weil es gestaltet war, gab es so tote winkeln und da wurden sie nicht gestört. Aber kein verwalter erträgt es, wenn sich irgendetwas entfaltet - die ertragen keine frei genutzen plätze. Also es ginge, wenn da jemand wär und sagt: ok, da zahlst du nicht viel - das wär möglich...

Arlt: Ich glaube ja, dass die gestaltung überschätzt wird - in jeder hinsicht. Ich glaube, das wesentliche im öffentlichen raum ist nicht die gestaltung, sondern die benutzung - was ist erlaubt und was nicht. Ich glaube, dass die gestaltung für die benutzung wenig rolle spielt, eher die vorschriften bzw. die exekution.

Tabor: Der fußgänger wird durch die gestaltung zum konsumenten degradiert - also nicht des flaneurs, der die kunst des gehens erlernt und praktiziert, sondern abgerichtet wird auf andere verhaltensweisen. Die gestaltung ist immer die vorweggenommene verhaltensweise.

Arlt: Aber sie haben doch selbst das beispiel ihres sohnes gebracht. Der fährt mit seinem skateboard über die kunst drüber - solange bis die polizei kommt.

Tabor: Aber er hat ja überhaupt keine ahnung, wer der hanak ist.

Arlt: Natürlich hat er keine ahnung, dass ist ihm auch scheißegal

Tabor: Er will eine klare fläche, tabula rasa

Arlt: Nein - klare, leere fläche ist zu langweilig.

Publikum: Sie sprechen immer vom normalen, aus dem heraus dann etwas passiert, leben entsteht. Was meinen Sie damit?

Tabor: Dass da sehr viele verschiedene leute sind, dass nicht so eine monokultur entsteht, wie in den gestalteten teilen. großstadt ist eine mischung, da passiert irgendetwas, es muß eine menge erzeugt werden, die sich unterschiedlich verhält und verhalten darf. Und das ist in diesen gestalteten bereichen ganz einfach nicht der fall. Da werden nutzungen und verhaltensweisen vorgeschrieben bzw. sind bewilligungspflichtig...

Publikum: Man möchte den gestalteten rahmen so rein wie möglich halten - da werden bettler und solche leute aus diesem bild herausgenommen. Und das ist das negative...

Tabor: Es geht in der architektur um die zugänglichkeit - das ist das thema. Die zugänglichkeit macht die öffentlichkeit - und die gestaltung ist ein machtinstrument, in dem sie zb. zwei atlanten vor die bank stellen und dazu noch einen bodyguard - dann wissen sie, da haben sie nichts zu suchen. Ganz einfach durch die gestaltung, die gestaltung ist prohibitorisch. Und das ist anti-großstädtisch. Man muß bereiche schaffen, wo irgendwas möglich ist und man sich nicht immer irgendwie verpflichtet fühlt irgendwelche sentimentalitäten zu entwickeln. ... was ich nicht will von der stadt ist, dass sie mir irgendwelche sentimentalitäten aufdrückt, die nicht meine sind, sondern die eines stadtpolitikers oder eines gestalters.

Publikum: Ich verstehe ihr plädoyer für die große freie fläche nicht. Auf so einer freien fläche einfach stehenzubleiben, ist extrem unangenehm für mich. Was kann ich da tun? ich kann nur durchgehen - ich kann mich dort nicht aufhalten. Es gibt keine bank, es ist nichts gestaltet.
Nichtgestaltung gibt's nicht.

Tabor: Ja, aber man kann die sachen auch belassen.

Publikum: Das ist dann meistens das alte, dass beläßt man - also oft sentimentalitäten. ... es ist ja nicht die architektur kaputtgegangen, - die nutzung, die funktion, die inbesitznahme hat nicht mehr funktioniert. Die leute sind weg, es war die besiedlungsstrategie falsch - und jetzt vernichtet man die architektur. Man h6auml;tte dieses objekt umnutzen können. Und über das hat keiner nachgedacht.

Arlt: Sie glauben, dass architektur und gestaltung das leben schwer beeinflußt. Ich glaube dass nutzungsbestimmungen viel massiver eingreifen in das tägliche leben, als wie architektur und gestaltung. Ich glaube, dass der einfluß von architektur massiv überschätzt wird, ihren einfluß auf das verhalten in diesen räumen.

Tabor: Das ist unglaublich.

Arlt: Ich weiß - für architekten ist das unglaublich, weil die immer noch glauben, wenn sie irgendetwas bauen bestimmen sie das leben.

Tabor: Aber das ist doch klar. Wenn die eingänge in den wohnhäusern ordentlich, elegant gestaltet sind, dann werden sie weniger zerstört. Die leute denken viel mehr ästhetisch als man glaubt.

Arlt: Architekten und architekturkritiker. der normale bürger schaut nicht ob schön oder nichtschön.

Tabor: Durch die gestaltung können sie verschiedene ansprüche und erwartungen ausdrücken oder beeinflussen. Das erscheint mir eine ziemlich klare sache. Oder nicht?

Arlt: Für mich nicht. Das funktioniert immer weniger. Das ist ein denken aus dem letzten jahrhundert, wo man glaubt, dass vor repräsentativer architektur alle niederknien. Sie haben ihren sohn erwähnt: der kann diese zeichen nicht lesen und wenn er es könnte wären sie ihm auch egal - der fährt da mit seinem skateboard drüber. Aus. Der hat keine ehrfurcht vor den zeichen der architektur. Das war vielleicht einmal, dass man vor palästen erschaudert ist und man sich nicht hineingetraut hat, aber in der zwischenzeit ist die ehrfurcht dieser handlungleitenden zeichen vorbei bzw. viel geringer als geglaubt wird.

Tabor: Die architektur kann unheimlich viel bewirken - im positiven wie im negativen sinne.

Publikum: durch gestaltung

Tabor: Ja, architektur ist gestaltung. - kann man einen raum noch öffentlich nennen, wenn er gestaltet wurde ?

Arlt: wie gesagt - für mich ist gestaltung diesbezüglich kein kriterium.

Tabor: Warum nicht ?

Arlt: Weil sich die leute darüber hinwegsetzen, es gar nicht bemerken. Stadt bemerkt man nicht.

Tabor: Im lauf der zeit wird sich auch die kärtnerstrasse normalisieren. die gestaltung wird durch zeit und normalität ausgeschaltet. Und dann kommt der zustand, wo die gestaltung tatsächlich keine rolle spielt. der schwedenplatz wurde auch gestaltet, aber er ist ganz einfach von der menge überrollt worden. von der gestaltung ist dort nichts mehr zu spüren. Für die urbanität ist ein gutgehendes eisgeschäft wichtiger als jede gestaltung. der michaelerplatz wäre ein schöner platz über den man nicht nachdenken müßte. Aber jetzt kommt man und stolpert über die gestaltung. Also wenn schon gestalten, dann so, dass man es nicht merkt - wie das gute design, das in das produkt eingeht. Also dass man etwas entdecken kann und nicht dass sich etwas aufdrängt. Die gestaltung soll in der stadt verschwinden, wie die stadt in der stadt verschwindet. Für die stadt ist es egal, ob da ein looshaus steht und daneben ein haus vom könig - der stadt ist es völlig wurscht.

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