Stadtwerkstatt
Das Rolling Art ™ Turnier
Urfahr. Straßenbahnlinie 1 und 3 bis Haltestelle Rudolfstraße.
Stadtwerkstatt
von Eugenie Kain

Alturfahr wurde in Alt-Urfahr-West und Alt Urfahr-Ost gesplittet, als es ans Abreißen ging. "Die Stadt Venedig" mußte dem Neuen Rathaus weichen und übersiedelte nach Osten, wo das Gasthaus als "Venedigloch" noch einige Jahre seinen Gääten einen finsteren Schlupfwinkel bot, bis dort das AEC neue Prioritäten setzte. Zu diesem Zeitpunkt war bereits der gesamte Stadteil ausgeweidet, umgebaut und "sanft saniert". Dem westlichen Stadteil kam dabei ein Großteil der eingesessenen Bevölkerung abhanden, die sich jetzt nur mehr unter dem Lärmpegel der Rudolfstraße zusammendrängt, während der zahlungskräftigere gehobene Mittelstand in ihre alten Häuser Einzug hielt. Die Betriebe, die nicht nur den Ansässigen Arbeit boten, waren zu diesem Zeitpunkt schon längst zugesperrt oder abgewandert. Im Osten ist die alteingesessene Bevölkerung verschwunden. Gewohnt wird nur mehr in der Seniorenresidenz Kursana, und damit sich die Senioren in ihrem teuren Wohnen nicht zur Eile gedrängt fühlen, wurde ihre Adresse flugs von Friedhofsstraße in Friedrichstraße umbenannt. Die Kirchenschule ist ganz verschwunden. Aber keine Planierraupe kann die Erinnerung an die Volksschulzeit niederwalzen. Auf dem Gang riecht es penetrant nach Urin, weil es in dieser alten Schule für die Buben noch Brunzrinnen gibt. Der koedukative Unterricht ist gerade erst verordnet worden, deshalb sind die höheren Klassen noch streng nach Buben und Mädchen getrennt. Zwischen den Schaffnern, Polizisten, Friseurinnen und Baggerfahrern sorgt der Berufswunsch Indianerin für Tadel. Das geht nicht. Die Handarbeitslehrerin leidet an einem hartnäckigen Nagelpilz, den sie mit einer nach Petroleum riechenden Salbe behandelt. In Handarbeiten müssen Waschlappen gestrickt werden, aus weißem oder rosa Baumwollgarn, mit dünnen Nadeln und komplizierten Mustern, die daheim garantiert im hintersten Winkel des Wäschkastens verschwinden werden und die Handarbeitslehrerin schleudert fehlerhafte Strickwerke mit ihren Stinkefingern auf den geölten Holzboden und weil das Strickzeug dann verdreckt ist, gibt es in Handarbeiten keinen Einser. Draußen war 1968, in der Schule sind Kinder ohne religiöses Bekenntnis "kleine Heiden". Kinder dürfen in die Ecke gestellt und angeschrien werden, im Winter kommt der Schulwart während der Stunde, um nachzulegen und einmal im Jahr sitzen für ein paar Tage die Kinder vom Zirkus in der letzten Bankreihe. Schräg gegenüber der Kirchenschule war das Zuckerlgeschäft Lelaut. Der stechende, uringetränkte Schulgeruch und das zarte Knistern der altrosa-cremeweiß gestreiften Seidenzuckerl mit ihrer prallen Nußfülle zwischen den Zähnen lösen sich noch manchmal bei Betreten der Schulgasse von selbst aus den Tiefen des Vergessens. Gegenwärtiger ist die Erinnerung an die "alte Stadtwerkstatt" in der Friedhofsstraße. Aufbruchsstimmung, das Cafe im ersten Stock, Aufstrich, Vollkornbrot und Müsli, neben KünstlerInnen fanden sich auch viele Afghanistan- und Indienreisende unter den Gästen. Viele von denen sind schon gestorben, am Gift und oder an der Unmöglichkeit, das Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Städteplanerisch hat Alturfahr Ost City-Charakter. Außer den Kursana-Senioren und den Toten am Friedhof bleibt keiner mehr 24 Stunden. Man kommt um zu arbeiten, im Meinl, beim Bäcker, im Copy-Shop, ins Weinfassl, in die Stadtwerkstatt, ins AEC, oder in die Passage und geht dann wieder. Im Copy Shop arbeiten sie geringfügig, beim Meinl nicht mehr lange, und in der Stadtwerkstatt mit viel Selbstausbeutung. Welche Arbeit braucht der Mensch? Wieviel Arbeit braucht der Mensch? Was kostet das Leben, damit es nicht das Leben kostet? Es gilt in Österreich als unhöflich, jemanden nach seinem Verdienst zu fragen, weil es als Privatsache gilt, wie und ob man über die Runden kommt. Nicht nur Kunst ist eine öffentliche Angelegenheit. Auf dem Platz vor der Stadtwerkstatt darf gespielt werden. Zum letzten Mal. Die Kugel rollt und der Preis ist ein Jahr Basislohn. Zumindest der Lohn der Siegerin/des Siegers ist dann öffentlich. Was sie/er damit macht, ist Privatsache. Oder auch nicht.

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