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servus.at - autonomer Netzknoten
Schnittstelle zwischen Cyberspace und realem Ort.


"in den 80ern stand das schaffen von zentren im vordergrund. die bühne war der freiraum & der freiraum die bühne. in den 90ern drängen sich dezentralen auf, das bedeutet das schaffen von knotenpunkten einer kommunikativen skulptur. die bühne erscheint überall, sie ist schnittstelle zum dialog."


So formulierte die Stadtwerkstatt 1992 das Programm für die 90er Jahre. Die zentrale Handlungsanleitung der Initiative - "Freiräume erobern und gestalten", die sich in den 80ern auf den realen öffentlichen Raum bezog und mit einem Haus realisiert wurde, in dem autonome Kunst- und Kulturarbeit lebendig stattfinden konnte, verlagerte sich in den 90ern in den medialen Raum. Schwerpunkt war Entwicklungsarbeit (gemeinsam mit anderen AktivistInnen), die darauf abzielte, den medialen Raum für künstlerische und kulturelle Nutzung zu erobern, selbstverwaltete Medien-Strukturen im Sinne des Public Access Gedankens zu schaffen, die als Bühnen und Operationsplattformen den Kunst- und Kulturschaffenden zur Verfügung stehen. Schnittstellen zwischen realem und medialem Raum, wo Produktion und Selbstformulierung im Sinne einer "kritischen Auseinandersetzung" mit den Bedingungen der Gesellschaft möglich ist. Unter diesen Voraussetzungen wurde Mitte der 90er - in Kooperation mit den Kulturinitiativen KV Kapu, KV Kanal, Theater Phönix und der Kulturplattform Oberösterreich (KUPF) in der Stadtwerkstatt der Internetknoten servus.at aufgebaut. Eine Bühne und Operationsfläche im Cyberspace für die oberösterreichische Kunst- und Kulturszene und ein Modell dafür, wie Aktivitäten, die nicht wirtschaftlich oder kommerziell orientiert sind, im Cyberspace Platz behaupten können.

servus.at hat sein lokales Headquarter in der Stadtwerkstatt in Linz, einerseits als Server- & Leitungsinfrastruktur und andererseits als sozialer Ort in der "real life" Umgebung unterschiedlicher Gruppierungen und Personen. Mit dem Aufbau einer technologischen Infrastruktur im Frühling 1996 wurden die nötigen Voraussetzungen aus Servern, Standleitungsanbindungen, Einwahlmöglichkeiten und Arbeitsplätzen geschaffen. Zentrale Strategie war und ist es auch für diesen Internetknoten, eine eigene, selbstverwaltete Infrastruktur zu errichten. Wie sich in den 80ern nachhaltig gezeigt hat, sind diese autonomen Orte Voraussetzung dafür, daß Diskurs und Dynamik entsteht, daß alternative Inhalte zum Ausdruck gelangen, daß Selbstformulierung möglich ist. Sie sind Treffpunkte und Kristallisationspunkte von künstlerischem und kreativem Potential, das jenseits kommerzieller Verwertungslogik agiert. Face2face zum Meinungsaustausch und Diskussion, Experiment, und gemeinsames Vorgehen, eine permanente Konferenz. Mittlerweile nutzen zahlreiche unabhängige Initiativen und KünstlerInnen die Möglichkeiten von servus.at als Mitglieder des gleichnamigen Vereines.

Mit dieser Internetinfrastuktur erweiterte sich der Handlungspielraum in einen dezentralen und vernetzten virtuellen Space. Eine Schnittstelle und (Agitations)-Plattform, mit der eine terminunabhängige permanente Konferenz vom Rechner aus möglich ist. Jetzt, am Anfang des neuen Jahrtausends sind die Neuen Technologien, aus dem Alltag nicht mehr zu entbehren. Produktions- Arbeits- und Kommunikationsbedingungen haben sich nachhaltig verändert. Ein Leben ohne Rechner und Standleitung am Arbeitsplatz und Modem auch zu Hause ist nicht mehr denkbar. Mails checken zu jeder Tageszeit. Research im Web als erster Weg, Informationen zu beschaffen. Organisation des Arbeitsalltags über Mails an die KollegInnen, etc. Information Overkill. Spam. Delete. Aber auch die Chance, in ein dicht gewobenes Netz von Informationen und deren Weitergabe eingeschlossen zu sein, von Dingen, Gedanken, Aktionen zu erfahren, die sonst nicht so treffsicher im eigenen Postkasten landen. Mailing Listen als Mittel zum raschen information-spreading, zur Koordination und Organisation. Ein unabkömmliches Instrument in einer Protestkultur, wie sie in den vergangenen Monaten in österreich entstanden ist. Auch in einer kleinen Stadt wie Linz gelang es für eine erste große Demonstration innerhalb weniger Tage an die 5000 Menschen auf der Straße zu bringen.

Wesentliche Voraussetzung ist die Eigenverwaltung der Werkzeuge und die Möglichkeit der Gestaltung derselben. Die Server von servus.at sind mit dem "open source" Betriebssystem Linux ausgestattet. Die vorhandenen Dienste, Server und Möglichkeiten können je nach Bedarf genutzt und ausgebaut werden. Es besteht ein dynamisches Geflecht zwischen Technik-Popplern, KünstlerInnen, die das Medium als Werkzeug für den künstlerischen Ausdruck nutzen, Kulturschaffenden, die ihre Inhalte und Anliegen in diesem Medium präsentieren oder es zur Koordination, Organisation und Kommunikation nutzen. Es geht um aktive Weiterentwicklung von sowohl Content als auch Technologie. Die Lust am Ausprobieren, am Testen neuer Werkzeuge und deren überprüfung auf ihre Verwendbarkeit, das Erproben von eigenen Formen der Nutzung dieses Mediums. Während die kommerziellen Entwicklungen eher den Zugriff der Konzerne auf den User als Konsumenten, über private Daten bis in die Geldbörse hinein, forcieren, setzen Initiativen wie servus.at drauf, daß die Produzierenden selbst den Zugriff auf Funktionen und Werkzeuge der Netzwerke haben. Software muß gestaltbar sein. Die Werkzeuge sollen sich durch Anforderungen aus der künstlerisch motivierten Arbeit heraus bestimmen und nicht diese durch Standardkonfigurationen, wie sie von kommerziellen Anbietern geliefert werden, limitieren. Künstler und Kulturschaffende können nicht darauf reduziert werden, nur im vorgegebenen Raster eines Weltbildes von z.B. Microsoft und ähnlichen ihre Farbelemente auf dem Tapet einfügen zu dürfen.

servus.at bietet eine umfangreiche Serverstruktur und diverse Internetdienste, die allen userInnen und MitarbeiterInnen zur Verfügung stehen. MAIL-, WWW-, FTP-, REAL AUDIO-, IRC-, PROXY-, DNS-, NEWS-, Oracleserver, unbegrenzten Webspace der er mittels ftp-upload selbstständig mit Inhalten gefüllt weden kann. Die Anbindung an das ACO-net via die Struktur des benachbarten AEC gewährleistet den Zugang zum nicht-kommerziellen Netz. In Kombination mit der 2. Leitung über das nach Linz expandierte VBS (Vienna Backbone Service) hat servus.at die Möglichkeit, schnelle Leitungen und unlimitierten Zugang anzubieten.

Die Website als Bühne, als Publikationsmedium und als Kommunikationsplattform. Zeitschriften, Archive/Datenbanken, Forschungsarbeiten, Kulturstudien, Diplomarbeiten, Literatur, Musik, experimentelle u. künstlerische Produktionen, Radio/Djs on demand, Diskussionsforen, Newsgroups. Es wird nicht nur gesurft oder eine Home-Page ins Netz gestellt, sondern Internet erfahren, erlebt, erforscht. Es geht um Kommunizieren, Präsentieren, Programmieren, HTML-Seiten Verfassen, Datenbanken erstellen, Encoden, Downloaden, Uploaden, Irc, Telnet, Protokolle, Schnittstellen, ... und vor allem auch darum, daß die UserInnen in der Lage sind, SELBST je nach Interesse und Bedarf diese Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Content-Produktion, für die das Werkzeug immer wieder adäquat gestaltet und weiterentwickelt werden kann/muß.

Internet ist nicht nur WWW und "Vernetzen" ist nicht nur rein technisch zu verstehen. Die Technik ist ein Mittel zum Zweck. Vor allem in Foren wie "Mailinglisten" können geographisch weit voneinander entfernte Personen quasi an "einen Tisch" zusammengebracht werden. Miitels neuer Technologien "treffen" sich Menschen, arbeiten gemeinsam an Projekten, halten sich am laufenden, ohne der Notwendigkeit, sich physisch an einem Ort zu befinden. Nichtsdestotrotz sind aber face2face Meetings wesentlich. servus.at legt aus diesem Grund auch großen Wert auf die soziale Umgebung, einerseits real im Haus der Stadtwerkstatt und andererseits virtuell über Mailinglisten, IRC, talk, email, ICQ ..., wo Erfahrungen ausgetauscht, Probleme erörtert/gelöst und Fragen gestellt/beantwortet werden.

Ein wichtiger Service-Bereich ist das Zurverfügungstellen von für die Mitglieder öffentlich zugänglichen Computerterminals im Hause Kirchengasse 4. In diesem sogenannten Club-Raum stehen Rechner für Mac- PC- und UNIX-User. servus-userInnen und Interessierte haben die Möglichkeit, in den Clubraum von servus.at zu kommen, sich zu informieren, zu surfen, e-mails zu verschicken, Software downzuloaden, diverse Möglichkeiten auszuprobieren, ohne die Rechner zu Hause dafür aufrüsten zu müssen. Für Probleme jedweder Art ist ein HelpAdmin zugegen, der den UserInnen unterstützend zur Seite steht. Nützliche Sammlungen von Werkzeugen für die Gestaltung von www-Seiten und Links zu Lösungsansätzen für technische Probleme liefern Orientierung. Workshops tragen zur Förderung des community-Gedankens bei und setzen andererseits Impulse für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Medium. Für Mitgliedertreffen werden zu Themenschwerpunkten (z.B.: Linux, Kryptographie ...) Vortragende eingeladen, die nicht nur den technischen Aspekt der Themen behandeln, sondern vor allem auch auf den gesellschaftspolitischen Aspekt eingehen. Linklisten bieten weiterführende Infos zu den jeweiligen Themen an.

Nur mit einer selbst gestaltbaren technologischen Umgebung wird es möglich, diverse Projekte auch nach den eigenen Bedürfnissen zu entwickeln und dabei die nötigen Erfahrungen und Erkenntnisse bereits im Vorfeld zu sammeln. Seien dies Datenbanken, Real Audio Server, MP3-Streaming, ASCII-Webcams oder vieles andere mehr. Durch die in der Stadtwerkstatt vorhandene Infrastruktur konnte zum Beispiel das aus der Kirchengasse 4 sendende Freie Linzer Stadtradio "Radio FRO" bereits vor dem Erhalt der Lizenz über das Senden im Kabelnetz und im Internet ausprobieren, was es bedeutet, 24 Stunden am Tag auf Sendung zu sein. Gleichzeitg konnte es damit auch beweisen, daß wenig finanzkräfitge Initiativen genauso in der Lage sind, ein vollwertiges Radio auf die Beine zu stellen, in dem aktive Bürger und Bürgerinnen sich artikulieren können und auch wollen. Die Möglichkeit mit Formaten und ästhetischen Fragen ohne Verpflichtung zu Quoten zu experimentieren besteht ebenso. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen in die weitere Arbeit ein.

Ein Netzkunst-Projekt, das die interaktiven Möglichkeiten des Mediums auf den Punkt brachte, war "ClickScape98", das von der Stadtwerkstatt im Rahmen des europäischen Kulturmonats in Linz im Herbst 1998 realisiert wurde. Per Mausklick konnten Internetbesucher aus aller Welt in der Stadt Linz "sichtbar" werden und ihre "Botschaften" im Donauraum an der Nibelungenbrücke hinterlassen. "Zeichnen", durch das Ein- und Ausschalten von Lichtern in den Fenstern einer Gebäudefassade, Passanten auf der Nibelungenbrücke wurden mit Tönen, die über Lautsprecher an den dort befindlichen Laternenmasten hörbar waren, begleitet, und auf dem "Wilden Efeu" - der elektronischen Laufschrift an der Fassade der Stadtkwerkstatt - fanden Chats über ein WWW-Interface im öffentlichen Raum statt. über Webcams wurden die Ergebnisse, die die Mausklicks in der realen Umgebung des öffentlichen Raums zur Folge hatte, wieder ins Web zurückgespielt und den InternetUserInnen vor Augen geführt. (www.servus.at/ClickScape98)

Als weiteres Beispiel sei hier noch eine females-only Mailingliste erwähnt, die im Zuge der Arbeit zum Kulturentiwcklungsplan der Stadt Linz entstanden ist: fakultaet@servus.at. Die Liste gibt es seit ca 1 1/2 jahren. Ende 1998 wurde im Rahmen der laufende Diskussionen zu einer kulturellen Weichenstellung für die Zukunft der Stadt Linz eine Gruppe von Frauen damit beauftragt, ein "Frauenkapitel" zum Kulturentwicklungsplan zu verfassen. Diverse Gespräche wurden geführt mit unterschiedlichen Organisationen KünstlerInnen und Kulturschaffenden. Nach der Fertigstellung des sogenannten "Frauenkapitels" wurde durch Lobbyarbeit bei Politikerinnen erreicht, daß die Forderungen auch in den Kulturentwicklungsplan Eingang fanden. Die Gruppe traf sich weiter, fand für sich das Label "Fakultaet - Frauen aus Kultur und aehnlichen Taetigkeitsbereichen" (mit einem Augenzwinkern auf das akademische Wort und die Netzwerke der Männer). Mittlerweile ist der Kulturentwicklungsplan fertig. Die "Fakultaet" besteht weiterhin und kommuniziert vor allem über die Mailingliste. In unregelmäßigen face2face Treffen einer "Kerngruppe" werden weitere Aktivitäten und Vorgangsweisen besprochen. Die Mailingliste fungiert als Forum und Informationspool, von Jobbörse bis Gedankenaustausch für all jene, die nicht konsequent an der real life Kommunikation teilnehmen können.

Selbst verwaltete Internetknoten wie servus.at, die an den soziokulturellen Schnittstellen zwischen realem und virtuellem Space liegen, auf der einen Seite mit fester Verankerung in einem realen kulturellen und künstlerischen Umfeld und auf der anderen Seite als "virtuelle Knotenpunkte" zur Informationsverteilung, Koordination, Präsentation, als erweiterte Bühne und Aktionsplattform, sind von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung von Kultur im 21. Jahrhundert. Unter den gegebenen medienpolitischen Voraussetzungen in österreich sind sie auch ein unabkömmliches Instrumentarium zur Schaffung von öffentlichkeit, in einem Land, in dem es ohnehin nur spärlich vorhandene Flächen für Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit gibt.

Gemeinsam mit ähnlichen Initiativen in anderen Bundesländern arbeitet servus.at einem "Austrian Cultural Backbone", ein dem zeitgenössischen Kunst- und Kulturschaffen gewidmetetes "Rückgrat" im Cyberspace, das einerseits den Aufbau technischer Infrastuktur (Access, Produktionsumgebungen und potente Leitungsanbindungen) zum Ziel hat und andererseits einen Beitrag zur Vermittlung von Medienkompetenz leistet. Darüber hinaus geschieht hier eine Vernetzung der unabhängingen Kunst- & Kulturszene österreichs, von den Freien Radios bis zu den alternativen Zeitungen und Kulturinitiativen, wo Strategien entwickelt, Lobbying betrieben, Kampagnen durchgeführt, und Content produziert wird. Ein Beitrag der lebendigen und vielfältigen Szene zur zeitgenössischen und national und international vernetzten Kunst & Kultur in Österreich.

Gabriele Kepplinger/Thomas Lehner, April 2000


für den Katalog zum Symposium ART_SERVER: STARGATE TO NETCULTURE.
OK Centrum für Gegenwartskunst, 27. Mai 2000