Prof. Dr. Karin Bruns (Kunstuniversität Linz, Institut für Medien)
Eröffnung der Ausstellung "Pozor Vysilani (Achtung Sendung)" im Regionalni muzeum v Ceskem Krumlove, 28.2.2004

Vom Stühlerücken und vom utopischen Potenzial der Medien

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Eröffnung einer Ausstellung, und plötzlich zieht ihnen ein Unbekannter die Sitzgelegenheit unter dem Hinterteil weg; oder: sie verfolgen im Theater ein Stück der klassischen Antike und plötzlich beginnt Wasser in den Zuschauerraum zu fließen. Sie müssen also zunächst die Beine hoch ziehen, dann auf den Stuhl steigen und schließlich - über die verschiedenen Stuhlreihen hinweg - fast fluchtartig den Zuschauerraum verlassen. Um solche und ähnliche Zustände wird es unter Anderem in dieser Ausstellung gehen (aber keine Sorge: es steht niemand hinter ihnen).

Die Ausstellung "Pozor Vysilani" der Stadtwerkstadt Linz, die im Kontext von Grenzerweiterung und Grenzüberschreitung sowohl in technischer als auch in ästhetischer Hinsicht steht, eröffnet uns einen experimentierenden und offenen Zugang zu Medien - exemplarisch an den beiden verwandten Technologien Radio und Fernsehen; allerdings ohne sich den Spielregeln des verwertbaren Konsumprodukts und den - vereinfachten - Vorstellungen eines direkten und unmittelbaren Austauschs zwischen Medium und Publikum, Sender und Empfänger zu unterwerfen. Populäre Medienformate - ganz gleich ob Film, TV oder Radio - in den Rahmen der Kunst zu überführen, bedeutet immer auch mit vielen Mitteln und Strategien zu operieren:
mit dem Verfahren der Verschiebung, dem Bruch von Genre- und Produktionsregeln, mit Überzeichnung, Übertreibung, aber auch mit dem Auslassen, der Fragmentarisierung und Selektion.
So gibt es künstlerische Arbeiten, die das Pausenbild des Fernsehens, Senderlogos oder die Begrüßungsformeln unserer Fernsehmoderatoren nutzen, um Aussagen über das Medium Fernsehen zu treffen.

"Achtung Sendung" greift u.a. auf das Life- und das Rückkopplungsprinzip zurück, das sowohl das Radio als auch das Fernsehen in den Mittelpunkt stellt, indem es den Museumsbesucherinnen ermöglicht, eigene Radiosendungen zu machen, die dann per Internet oder Radio empfangen werden können und indem sie - in der Tradition freier und selbstorganisierter Radiosender - einen "Einsteigekurs zum Freien Radiomachen" anbieten. Doch dieses "radio studio" ist nur eines von insgesamt 5 Projekten, die die Stadtwerkstatt hier präsentiert. Die "rolling art Kegelbahn" konfrontiert hingegen Aktion im Realraum, die beliebte Freizeitbeschäftigung des Kegelns, mit Aktionen im Cyberspace; stwst-tv zeigt ein Stück Fernsehgeschichte, die dazu gehörige info wall stellt die Brücke zu gesellschaftlichen und politischen Kontexten her. Hire & Fire schließlich thematisiert das "Ende der Gemütlichkeit", wie ich es am Anfang skizziert und selbst bei einer Theateraufführung in Moers (Deutschland) erlebt habe. Das Gefühl eines solchen Verlusts an Heimeligkeit, Wohlbefinden und Zufriedenheit lässt sich zurückbinden an die sozialen Erfahrungen, die ein Großteil der Bevölkerung im heutigen Europa machen muss: der zunehmend schonungslos werdenden Praxis des Hire & Fire, die den Verlust von Arbeitsplatz, sozialer Einbindung und Sicherheit nach sich zieht.

Anliegen der Stadtwerkstatt-Projekte ist also der - ausdrücklich politische - Bezug auf Medien, Formate und Materialien, die untereinander uneinheitlich sind und auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, wie das Spiel des Stühlerückens und die neoliberale Unternehmensstrategie der Jetztzeit oder Bierflaschen und Virtualität. Die Zuschauenden sind dabei aufgefordert, selbst zu handeln, und damit: zu Medienproduzenten zu werden. Ganz im Sinne eines "Baukastens zu einer Theorie der Medien", wie Hans Magnus Enzensberger ihn in den 70er Jahren entwarf, in dem es heißt: "Es ist falsch, Mediengeräte als bloße Konsumtionsmittel zu betrachten. Sie sind im Prinzip immer zugleich Produktionsmittel (...).". Und: "Jeder Empfänger" ist "ein potentieller Sender". Dies ist das utopische Potenzial, das sich offensichtlich mit jedem neuen Medium verbindet - Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Film, in den 20er Jahren dann mit dem Radio, in den 70ern mit dem Fernsehen und heute mit den digitalen Medien, mit Computer, Internet und Netzkunst. Das Stichwort der Partizipation, die Aufforderung an das Publikum teilzunehmen, zu handeln, sich verwickeln und einbinden zu lassen, ist daher für die Kunst- und Medienproduktion heute zunehmend wichtig geworden.

"Partizipation" erfordert vom Publikum nicht nur Aktivität im herkömmlichen Sinne (also Betrachten, Abschreiten oder Begehen), sondern auch Inter-Aktivität, einen Wechseldiskurs zwischen den einzelnen Werken, Objekten und Aktionen. Dies meint bekanntlich Handeln in einem umfassenden Sinn - Dinge in Gang setzen, betasten, erproben, spielen usw. - UND eine ständige Rück-Überprüfung des eigenen Reagierens, Handelns und Empfindens. Dadurch, so glauben die Theorien des Spiels, verlassen wir unseren gewohnten Handlungs-Spiel-Raum, überschreiten selbst Grenzen. Teilnehmen und Bewerten sind, so haben jene Medientheorien befunden, die an das utopische Potenzial der Medien glaubten und glauben, eben immer noch nicht genug: "Sollten Sie dies für utopisch halten", schreibt Brecht in seiner "Radiotheorie", so bitte ich Sie, darüber nachzudenken, warum es utopisch ist".

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