Im Teilchendschungel der Wahrscheinlichkeit Konzept: Thomas Lehner
|
1992 lautete das Thema der Ars Electronica "Die Welt von Innen - Endo und Nano". Im Studio waren eine Vielzahl von Handlungen samt Unmengen an Fernsehequipment, alles auf wenige Quadratmeter konzentriert. Ein in Echtzeit durch Kameras, Elektronenmikroskope, Computer, Telefone, Bänder, Publikum, Gäste, Künstler und Akteure generiertes TV-Ereignis.
Die Festivalleitung trachtete danach, diesmal die Künstler und deren Beiträge der Einfachheit halber unter einem Dach im Brucknerhaus zu präsentieren. Wir wählten den Keplersaal mit seiner Glasfront, der sich wie ein einsehbares "Terrarium" darbietet, im Sinne des Themas der geeignete Raum für das TV-Studio und die Handlungsflächen. Neben den Sehern zu Hause vor den Bildschirmen konnten die Besucher im Brucknerhaus einen Blick in "die Welt von Innen" werfen. Umgekehrt waren unsere Kameras wie das Auge der Schlange, das Publikum drückte sich an den Scheiben die Nasen platt. Der Studioaufbau nahm Rücksicht darauf, daß die Koordination und Kommunikation der einzelnen technischen Einheiten und der Aktionsträger fließend und vor allem sanft und leise vonstatten gehen konnten. Zum ersten Mal gelang es uns hier, die Studioeinheiten klar räumlich als Inseln anzulegen und gleichzeitig so auszurichten, daß vom Bildmischer- und Regieplatz volle Einsicht auf die Aktionsflächen geboten war. Sämtliche Bild- und Tonquellen bildeten ein multimediales Netzwerk. Ein eigens konstruierter Videoswitcher gab dem Computerteam die Autonomie, sowohl im Bildhintergrund wie -vordergrund im Dialog in die Geschehnisse am Bildschirm einzugreifen. Die Sendung beginnt, der Vorspann läuft. 15 Sekunden später der Startschuß für eine Schafschlachtung in einem kleinen Nebenraum nahe dem Studio, der normalerweise als Umkleideraum für das Küchenpersonal des Brucknerhauses genutzt wird. Hier wird von einem professionellen Akkordmetzger, natürlich unter Aufsicht eines Veterinärmediziners, ein Schaf geschlachtet, ohne daß irgendeiner der ca. 150 an der Sendung beteiligten Mitarbeiter, obwohl nur durch eine Wand vom Geschehen getrennt, etwas davon merkt. Das noch pochende Herz wird auf einem silbernen Teller auf ein Podest gebracht, vor dem die Anmoderatorin auf ihren Einsatz wartet. Über Intercom das Kommando: "Das Herz ist da!" - "Achtung Kamera 3" - "Kamera 3 auf Sendung". Man sieht die Moderatorin im Brustbild. Sie begrüßt live vom 'Herzen Europas' aus in sämtlichen auf diesem Kontinent auftretenden Landessprachen die Zuseher. Im Vordergrund das noch immer schlagende Herz, das blutig vor sich hinpocht, während sein Körper, aus rechtlichen Gründen, bereits in einem Lieferwagen Richtung Stadtgrenze unterwegs ist.
Weitere Bestandteile der Sendung: Die Konstrukteure von Bauten und Kulissen (funktionsfähiger Zahnarztstuhl, Superbox, Blueboxen, Aquarien–Fische in der Bluebox, elektronisches Mikroskop, geeignet für Videoausspiegelungen, Platz für Orangensprengungen, chemisches Labor für Basisversuche, Telefonhangout, Greenroom-Bühne, fahrbare Anordnung zur Herzwiederbelebung, Schlupflöcher für Ausfälle aus dem Keplersaal...) hatten die Bewegungsfreiheit der Kameras und Moderatoren und die Bespielbarkeit der Bühnen auf kleinstem Raum zu bewältigen. Live auf Sendung bewegten sich über 40 Mitarbeiter und Akteure vor der Kamera im "Terrarium", während Zahnarzt Dr. Schmelz eine Stunde lang seiner Patientin den Zahnbelag entfernte und unsere Fernsehgäste eine ausgelassene Party zu feiern hatten. Die Sendung wurde unter dem Titel "Im Teilchendschungel der Wahrscheinlichkeit" anläßlich der Ars Electronica 1992, die unter dem Motto "Die Welt von Innen - Endo und Nano" stand, live auf 3sat und FS2 abgehalten. Das Vorhaben manifestierte sich im Textteil des Festivalkatalogs unter anderem folgendermaßen: |
Brucknerhaus Kepler-Saal 26. Juni 1992 live in 3sat und FS 2
|